AUCH SIE SOLLTEN MAL …

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INS BORDELL GEHEN.

Wie ist das eigentlich, eine Domina zu besuchen? Gekauften Sex zu haben? Ein Studio zu mieten? Was in der Gesellschaft nach wie vor anrüchig ist und nur hinter vorgehaltener Hand besprochen wird, muss endlich aufhören, sich zu verstecken!

Es gibt wenig Orte, die ekelhafter sind, als ein „Puff“. Ein „Bordell“. Ein „Hurenhaus“. Kommt Ihnen da nicht das Würgen schon allein beim Lesen? Klingt das nicht widerlich? Schämen Sie sich nicht, solche Worte überhaupt erst zu lesen? Wissen Sie, was da passiert? Notgeile Männer gehen da hin, um sich Sex von Huren zu kaufen. In Bomberjacken gekleidete, mit Goldkettchen behängte Zuhälter mit viel zu viel Gel in den Haaren und dem schmierigsten Lächeln, dass Sie sich vorstellen können, verlangen grinsend ihren Tribut, bevor sie dann hinterher die Hure mit Drogen versorgen und die Puffmutter verprügeln. Ach ja, und Sie bekommen AIDS, Tripper und Syphilis. Das haben Sie nun davon. Und Sie haben bestimmt einen ganz kleinen Schwanz. Sie sind ja wirklich schamlos, dass Sie so einen Text überhaupt lesen!

Schamlos oder… offen. Human. Menschlich. Sie lesen hoffentlich weiter, weil Sie wissen, dass es so nicht ist, wie eingangs „blumig“ umschrieben. Oder zumindest, weil Sie auch daran glauben, dass es so nicht sein kann, nicht sein darf. Fakt ist leider, das Sexwork nach wie vor eine der schwierigsten, da stigmatisierten Professionen ist, die man ausführen kann. Nicht ohne Grund arbeitet fast kein:e Sexworker:in ohne Pseudonym. Die gesellschaftliche Ächtung des Berufs – die zugegebenermaßen in den letzten Jahren abgenommen hat – ist nach wie vor groß. Und fast so groß ist die Ächtung der Klient:innen (und immerhin sind sie es, die nach dem Nordischen Modell zu Täter:innen deklariert werden sollen, s. Ausgabe 90).

Doch halten wir uns hier nicht damit auf, über den gesellschaftlichen Diskurs über Sexwork zu referieren – denn das haben wir schon in Ausgabe 90 getan, also schlagen Sie gerne da nochmal nach -, sondern gehen wir das doch mal anders herum an: Wie ist es denn eigentlich, zu einer professionellen Sexworkerin zu gehen? Wie fühlt sich so ein Besuch an? Wie überwindet man die Scham? Und was bekommt man für sein Geld?

Das erste Mal Erinnern Sie sich an Ihren ersten Kuss? Oder Ihren ersten Geschlechtsverkehr? Wissen Sie noch, wie aufgeregt Sie waren? Das Herz schlägt schneller, die Atmung wird heftiger, die Schmetterlinge im Bauch explodieren geradezu, Sie zittern, Sie spüren sich ganz deutlich, in Ihrem Kopf explodiert ein Feuerwerk. Während Ihr Verstand immer leiser wird, während er eine wirre Frage, ob das so ist, wie Sie sich das vorgestellt haben, nach der anderen losfeuert, ohne jemals Antwort zu erhalten, übernimmt Ihr Verlangen. Ihre Sehnsucht und Ihr Körper wissen, was zu tun ist. Die Lust übernimmt. Haben Sie die Erinnerung? Gut. Nun nehmen Sie diese Aufregung und multiplizieren Sie sie mit 100. Das ist die Aufregung, die Sie beim ersten Besuch bei einer Domina verspüren werden. Nein, ganz so heftig wird es vielleicht nicht, aber wenn Sie jetzt nicht gerade die allercoolste Socke des Planeten sind, wird Ihr Erlebnis Sie sicher emotional mitnehmen – schön aufregend und aufregend schön!

Wenn Sie nicht gerade ein Laufhaus besuchen oder sich jemanden direkt im Rotlichtbezirk angeln, fängt der Erstkontakt für die meisten virtuell an: Eine Anfrage an die Sexwork-Person der Begierde will abgesandt werden. Schreiben Sie eine Mail über das Kontaktformular auf der Homepage? Dann sieht man aber Ihren Namen, nicht? Schnell noch ein anonymes Konto aufmachen? Oder vielleicht direkt eine der Vermittlungsplattformen nutzen? Oh, lädt man da jetzt ein Foto hoch? Vielleicht doch direkt die Nummer anrufen? Puh, das ist schon aufregend. Wer wird sich da melden? Eine Privatperson, muss man erstmal sagen „Hallo, bin ich da richtig bei Göttin Verena?“. Oder ist das schon eine Geschäftsnummer (Spoiler: Ja, eigentlich immer.), wo dann tatsächlich eine „Göttin“ rangeht? Ist das wie beimTelefonsex? Oder bespreche ich erstmal wie beim Kauf ein Angebot?

Stellen Sie sich darauf ein, dass Ihnen all das durch den Kopf schießt. Und ich kann Sie beruhigen: Die Person am anderen Ende weiß ebenfalls, dass Ihnen das so geht und wird Ihr Bestes geben, Sie da abzuholen, wo Sie stehen. Das Spiel hat noch nicht begonnen, Sie müssen sich noch nicht untenrum freimachen. Seien Sie nett, Ihr Gegenüber wird es auch sein. Fragen Sie, ob Sie Ihre Wünsche schildern dürfen (Spoiler: Ja, sollen Sie sogar), sagen Sie es offen. Fragen Sie, was das kosten wird, dann fühlen Sie sich nicht in der Bittsteller:innen-Position, sondern als das, wie Sie auch wahrgenommen werden: Als Klient:in. Dann haben Sie die erste Hürde schon mal genommen.

Ob Sie nun vorher anrufen und eine Adresse bekommen oder direkt in ein Etablissement hineinschneien: Irgendwann müssen Sie da halt auch hingehen. Ab hier wird Ihr Herz merkbar stärker klopfen, als gewohnt. Sehen Sie sich nochmal um, ob Sie jemand beobachtet oder gehen Sie selbstbewusst rein? Das Laufhaus mitten auf der Reeperbahn oder das diskrete Studio im zweiten Stock eines Industriegebäudes? Oh, und vielleicht haben Sie noch eine Anreise, weil Sie sich etwas ganz Besonderes wünschen, dass Sie nunmal nicht in Ihrer Kleinstadt bekommen: Was denken Sie, wie aufgeregt Sie erst während der Fahrt sein werden?

Nun ist es soweit, Sie stehen vor der Tür. Gleich gehen Sie rein. Sind Sie die Person, die schon alles erlebt hat und ganz selbstverständlich damit umgehen kann, oder die, die nervös in der Ecke steht? Ganz egal, Ihr:e Sexworker:in wird sich darauf einstellen. Das ist sein:ihr Beruf, das hat er:sie mitunter auch gelernt. Und nun steht da… ja, wer eigentlich?

Hure? Domina? Oder Escort? Sexworker:in ist nicht gleich Sexworker:in. Bloß, weil man vor dem Gesetzt unter „Prostituierte:r“ eingeordnet wird, macht man noch lange nicht das Gleiche. Vielleicht sind Sie bei einer Hure? Dann geht es in erster Linie darum, Ihre körperlichen Bedürfnisse zu versorgen. Oder haben Sie sich bei einer Domina angemeldet? Die ist auf Ihr Kopfkino spezialisiert und auf ganz andere Empfindungen, als den Geschlechtsverkehr. Oder haben Sie sich ein Escort-Date mit „GFE“ (girlfriend experience) gegönnt? Dann sind Sie auf einem Date mit einer Person, die alles daran setzen wird, Ihnen einen schönen Abend zu machen und Ihnen das körperliche Highlight je nach Vereinbarung zusätzlich garantiert.

Das Angebot ist so individuell abgestimmt, wie es die Klient:innen nunmal sind. Doch alle haben eines gemeinsam: Sie sind Dienstleister:innen, denn sie stillen ein Bedürfnis in ihren Klient:innen. Köch:innen stillen Hunger, Schauspieler:innen stillen Kunstbedürfnis, Prostituierte stillen Sexualbedürfnis und Fantasien.

Ein:e gute:r Sexworker:in weiß auch genau damit gekonnt umzugehen: In Ihrer gebuchten Zeit geht es allein um Sie und um das Befriedigen Ihrer Bedürfnisse, soweit Sie diese vorher klar formuliert haben. Sie sollen das Reich Ihrer Sehnsüchte betreten können und Ihr sexuelles Ich, Ihr Verlangen ausleben dürfen. Zwar kann Ihr Gegenüber Sie evtl. bereits ein wenig einschätzen, doch ist sie:er über klare Kommunikation immer dankbar, auch während der Session.

Wie so eine Session also letztlich ablaufen wird, ist ganz Ihnen und Ihrer:m Sexworker:in überlassen: Das sinnliche Erlebnis der Berührung durch eine Hure, die aufregende, straff-durchinszenierte Begegnung mit einer Domina, das berührend-romantische Date mit einer Escort-Dame oder einem Escort-Herren…

Vielleicht bleiben Sie hinterher noch auf einen entspannt-unaufgeregten Schwatz oder verlassen die Räumlichkeiten mit Ihrem Kopfkino, egal wie, wenn alles gut lief, können Sie den gesamten Heimweg, bis oben hin mit Adrenalin vollgepumpt davon zehren! Wir wünschen es Ihnen auf jeden Fall!

Begegnung an der Bordsteinkante Wie fühlen Sie sich eigentlich dabei, diesen geheimnisvollen Personen zu begegnen? Diesen Kunstfiguren, die andere Namen tragen? Candy? Sweet Honey? Lady Doom? Madame Isabel? Sir Demonic? Sie kennen die Person dahinter nicht. Oder doch?

Bei einer Vernissage in der Galerie xpon-art treffen wir Luisa (die aufmerksame Leser:innen aus dem Bericht von S. 14-17 wieder erkennen), sie ist nicht nur Escort-Dame, sondern auch Künstlerin. Bei der Vernissage werden zwei große Bild-Arbeiten und eine Video-Installation (in Kooperation mit Johanna Bank) von ihr gezeigt. Eine wunderbare Gelegenheit, sie außerhalb des Escort-Business kennenzulernen! Luisa ist eloquent, sie beherrscht den Raum, bleibt dabei aber immer nahbar und neugierig. Nichts von einer abgehobenen femme fatale, aber doch auch ein Kunstwesen: Bis ins Detail perfekt gestylt und nie ihr Pseudonym ablegend erscheint sie als Künstlerin aufgeschlossen und auf einer Ebene mit ihrem Publikum. Ein Klient ist an dem Abend bei ihr, sie gehen völlig offen und entspannt damit um, dass er sie regelmäßig bucht und sich freut, dadurch ihre Kunst zu unterstützen. Eines der Exponate hat er schon für sich reserviert. Die beiden lachen wie beste Freunde. Es ist eben doch ein sehr persönliches Metier und irgendwie werden wir ein bisschen neidisch auf das besondere Verhältnis, das die beiden pflegen!

Die andere Seite In Berlin beim German Fetish Ball treffen wir Domina Yel Beaufort, die nicht nur die Veranstaltungen besucht, sondern auch geschäftlich hier ist. Da sie sowieso schon viel Latex dabei hat und mit einer Kollegin angereist ist, hat sie in einem Studio gleich einige Sessions angeboten, bevor sie abends auf den Ball gegangen ist.

Ihr hattet dann bestimmt viele Kunden, die wegen des GFB hier sind, oder?

Nein, eigentlich gar nicht! Ich hatte erst gedacht, dass da harte Kinkster kommen, immerhin haben sie sich ja zwei Latex-Dominas gebucht. Aber das war dann ganz anders. Es kamen Menschen, die es gar nicht so darauf abgesehen hatten, jetzt „geil“ zu werden, sondern die verstanden werden wollten, gehört werden wollten.

Gehört? Inwiefern wollten sie gehört werden? Wollten sie nicht einfach eine bizarre Behandlung?

Schon, aber sie wollten auch ganz viel sprechen. Da waren Menschen dabei, die auf diesen Besuch gespart hatten, die es sich gönnen wollten, einmal ihren Fetisch mit professioneller Hilfe ausleben zu können. Es war unglaublich rührend, wie offen und menschlich sie waren, was für eine menschliche Situation da entstanden ist, selbst wenn wir komplett in Latex gekleidet und maskiert waren.

Was war dann deine Aufgabe als Sexworkerin?

Ich wollte diesen Menschen ihr Bedürfnis erfüllen, ihnen sagen: „Ja, du bist toll so, wie du bist, deine Bedürfnisse sind schön, du musst dich für nichts schämen!“ Selbst, wenn du auf Nassspiele stehst, ist das nichts Verwerfliches, sondern etwas, dass du erleben kannst. Es war so schön, zu sehen, wie glücklich die Klienten wieder gegangen sind. Yel fasste es eigentlich perfekt zusammen: Sexwork heißt, Gehör zu finden und verstanden zu werden. Oder, wie es Goethes Faust formulierte: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“.

Fun-Fact für Sie: Bei „Escort-Herren“ springt die Auto-Korrektur an, bei „Escort-Dame“ hingegen nicht. Da hat Silicon Valley den Schuss wohl noch nicht gehört.

Autor: Mr. Ithaqua / FOTOS: FREEPIK.COM

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