Ich lerne Hani H. im Januar dieses Jahres kennen und in Gesprächen erfahre ich, dass sie in den Niederlanden lebt und arbeitet, sich bezüglich des Lernens von Sprachen für untalentiert hält, bei Instagram als „glovedgirl“ unterwegs ist, dass sie sich für Autos interessiert – vor allem für die Schnellen – und für Mode, sie wurde in Singapur geboren und absolvierte als junger Mann (im Folgenden H. genannt) ein arbeitsintensives Studium und war beim Militär. Ich erlebe eine höfliche, zuvorkommende Frau, die wundervoll Geschichten erzählen kann – die meisten davon hat sie selbst erlebt. Was mir vor allem im Gedächtnis bleibt, ist ihr kraftvoller und zugleich zarter Ausdruck. Und ihr Lachen. Sie lacht viel und oft. Und so beginnen wir auch unser Online-Treffen lachend. Ich habe keine Fragen vorbereitet. Und vielleicht ist dieses Nichts ein guter Startpunkt?!
Hani, was weißt du? „Ich weiß, dass ich schon immer das Gefühl hatte, dass ich anders bin. Nicht mit 1, 2, 3 Jahren. Aber als ich etwa sieben oder acht Jahre alt war, wusste ich, dass ich anders bin.“ Sie ahnte, dass ihr Leben so wie sie es lebte, eine Lüge war. Sie war. Bei der Geburt wurde ihr das Geschlecht eines Jungen zugewiesen und sie wuchs als Sohn auf, der später ein Ehemann und Vater wurde. „Ich begehrte etwas, das ich nicht benennen konnte und von dem ich überzeugt war, es nicht begehren zu dürfen. Und ich schämte mich dafür.“
Sie wurde neun und zehn Jahre alt und die Empfindung des Begehrens wurde intensiver. Und umso intensiver dies wurde, desto größer wurde das Empfinden von Scham. Das alles war geheim. Es war ihr Geheimnis. Ihr geheimes Begehren. Ihre geheimen Gedanken. Ihre geheime Scham. Sie begann Momente des JETZT zu kreieren. Das waren zum Beispiel Momente des gemeinsamen Spiels mit Freund*innen. Völlig unauffällig. Das waren aber auch Situationen, in denen sie immer größere Risiken einging. Mit dem Fahrrad Treppen runterfahren zum Beispiel. Oder heimlich das Auto des Vaters zu nehmen und mit hoher Geschwindigkeit durch die Stadt zu fahren.
„Da ist volle Konzentration, absoluter Fokus lebensnotwendig.“ Mit zwölf hat dieser Jugendliche noch gute Noten in der Schule. Mit 14 fliegt er fast von der Schule. Der junge H. kriegt die Kurve und schafft es auf die Universität. Jetzt ist es das Studium. Die harte Arbeit, die ihn in der Spur hält. „Wenn ich in den Spiegel schaute, sah ich ein Gesicht und einen Körper, die ich nicht als hässlich empfand, aber der Anblick machte mich trotzdem traurig. Denn ich war nicht diese Person. Das war mein Geheimnis. Das war eine Bürde.“ Eine geheime Geschichte in den Körper geschrieben. Das Wort „Geschichte“ ist hier sehr passend. Es steckt das Wort „Schicht“ darin. Unsichtbare Schichten, die nicht gezeigt werden können.
Schichten, die in den Körper geschrieben sind. Und Schichten, die genutzt werden können, um etwas zum Ausdruck zu bringen. H. entdeckt eine Schicht, die ihm genau das ermöglicht. Mit Latex und Masken, kreiert er den Ausdruck des weiblichen Körpers, den er schon so lange in sich trägt. Eine Schicht auftragen, um eine andere zu entblößen. „Ich überdeckte das Bild von mir, das mich traurig machte.“
H. schlüpfte in eine andere Schicht, in eine andere Haut, die er immer öfter trug und immer seltener abnehmen wollte. Sie zieht den Vergleich einer Drogensucht. „Ich trug die Maske über immer längere Zeiträume. Der längste Zeitraum betrug zwei volle Tage. Zwei Tage, in denen ich die Maske nicht ein einziges Mal abnahm.“
Sie erinnert sich an die Grausamkeit der Momente, in denen es Zeit war, die Maske abzunehmen. An den Schmerz, der damit verbunden war. „Und dann kommt da noch das Altern hinzu. Als Mann mit Testosteron zu altern – die Lücke zwischen Person mit Maske und dem älter werdenden Mann wurde immer größer.“ Und sie erzählt davon, dass sich allmählich ein Gedanke formte: „Wie wäre es, in dieser Maske zu sterben?“
Dem Hin und Her ein Ende setzen. Dem vermeintlichen Widerspruch: Mit Maske bin ich mehr die Person, die ich mir sehnlichst wünsche zu sein. Ohne Maske bin ich die Person, die die ganze Welt und vor allem die Menschen belügt, die ihr wichtig sind. Hani, was hat dich davon abgehalten, Deinem Leben ein Ende zu setzen? Was hat dich dazu gebracht, einen anderen Weg zu wählen?
„Meine Pflicht hielt mich am Laufen. Jetzt kann ich sagen, dass es die Menschen waren, die ich liebte. Die ich liebe. Damals wußte ich nicht, was Liebe ist. Deswegen nenne ich es Pflicht. Es war mein Pflichtgefühl ihnen gegenüber.“ Also brachte sie das Scham behaftete Geheimnis ans Licht. „Die äußeren Bedingungen waren geschaffen. Es gab die finanzielle Sicherheit für alle Familienmitglieder. Meine Tochter war inzwischen eine junge Frau. Und ich hatte das vertrauen, dass ich auch allein leben könnte.“ Alles war besser, als die Lüge weiterhin aufrecht zu erhalten, die sie als „großen Sack Scheiße“ bezeichnet. Also, was passiert, wenn man den „großen Sack Scheiße“ endlich loslässt? Hani erzählt von dem Moment, als sie ihrer Ehefrau die Wahrheit sagen will.
Sie sitzen in einem Café in den Niederlanden. „Meine Frau lebt in den USA und kam mich besuchen. Ich wollte ihr endlich von meinem Geheimnis erzählen und begann von der Bürde eines „großen Sacks mit Scheiße“ zu sprechen. Darüber, das man etwas darstellt und vorgibt etwas zu sein, was man nicht ist. Den Schein zu wahren. Eine Lüge zu leben. Und es dauerte zwei Stunden bis meine Frau endlich verstehen konnte, worum es geht. Denn ich habe Worte wie „Gender“ oder „Transition“ vermieden. Am nächsten Tag gab sie mir eine Karte. Und dort stand unter anderem, dass sie zu mir halten würde, egal was passieren würde.
Ich glaubte ihr das damals. Und ich glaube, dass es damals auch genau so gemeint war. Inzwischen bin mich mir nicht mehr sicher. Sie äußert immer öfter Gedanken über eine Scheidung“. Hani spricht über die Menschen, von denen sie jetzt sagt, dass sie sie liebt und die ihr wichtig sind. Ihr Vater, ihre Ehefrau, ihre Tochter und Ihr bester Freund. Sie erzählt, von dem Risiko, dass man eingeht, wenn man diesen Menschen die Wahrheit sagt. „Du kannst gewinnen und du kannst verlieren. Das ist wie beim Roulette. Die Chancen stehen fifty-fifty. Und wenn Du viele Chips hast, besteht immer die Gefahr, viele Chips zu verlieren. Gewonnen habe ich mit meinem Vater und meinem besten Freund. Ungewiss ist es noch mit meiner Ehefrau und meiner Tochter.“
Und nach einem Augenblick der Stille fügt sie hinzu: „Ich bin dankbar und gesegnet. Früher ging ich abends mit diesem „großen Sack Scheiße“ ins Bett. Heute lege ich mich hin, schüttele das Kissen noch einmal auf und genieße das Gefühl des sauberen Lakens auf meiner Haut.“
Hani, was ist mit jetzt mit Latex. Sie lacht. „Es war lebensnotwendig für mich. Und jetzt ein Material, dessen Glanz ich mag und das ich gerne nach ein paar Stunden wieder ausziehe.“ Sie erzählt mir noch von den neuesten Neuigkeiten: Sie wird als Model zur Fashion Week nach Mailand reisen. „Der Agent meiner Tochter sprach mich an. Ich bin Asiatin. Ich bin trans. Dafür gibt es Markt, meint er. Ich glaube das stimmt.“ Hani, ich weiß, dass Du um die 50 Jahre alt bist. Und du bist gleichzeitig eine junge Frau, oder? „Stimmt! Und ich habe als junge Frau noch nie gedatet.“ Sie lacht.