Spielen bis einer weint
“Weinen ist keine Grenze und auch kein Safeword”Als jemand diesen Satz zu mir Sagt, bin ich einen kurzen Moment erstaunt. Wir haben über unser Ziel in einer Session gesprochen und mit dieser Aussage habe ich nicht gerechnet. Möchte ich überhaupt erreichen, dass meine submissive Person weint? Aus Panik? Angst? Schmerz? Lachen? Oder vielleicht auch einfach aus Glück. In den vielen Jahren BDSM habe ich Festgestellt: Ja, Weinen kann ganz schön sein.
Für viele Menschen ist Weinen ein emotionaler Eskalations-Zustand. Eine ganze Zeit lang wird sogar unser “Erwachsen-sein” daran gemessen, ob wir noch weinen oder eben nicht. Das Weinen eine ganz normale Emotion ist, wie jede andere , wird in unserer Gesellschaft oft vergessen. Die verpöhnteste Körperflüssigkeit? Tränen haben einen schlechteren Ruf als Natursekt.
Cry me a river
Bisher ist es nicht vorgekommen, dass jemand vor einer Session zu mir gesagt hat “Ich will unbedingt weinen”, aber durchaus “ich möchte starke Emotionen erleben” oder wir haben über Weinen genauso gesprochen, wie über Spuren oder andere Grenzen. War ich beim ersten Mal noch erstaunt über die klare Ansage, erlebe ich es jetzt immer öfter, dass Subs sagen “Weinen kann schon dazu gehören.” Was wahrscheinlich daran liegt, dass man sich als devoter Mensch oft anders mit seinen emotionalen Bedürfnissen auseinandersetzt als der dominante Part. Weinen kann eine der stärksten Emotionen sein, die wir erleben, oft kann das Erlebnis zu weinen durchaus vergleichbar mit einem körperlichen Orgasmus sein. Es ist im Nachhinein oft ein “Point of No Return“, der überschritten wurde und große Euphorie auslösen kann.
IN WELCHER SITUATION WIRD GEWEINT? AB WANN WEINT MAN DENN BEIM BDSM? VOR SCHMERZEN BEI DER SESSION? VOR SCHAM BEI EINER SZENE? ODER DOCH WÄHREND DER AFTERCARE?
IN DER SZENE | Für viele Menschen sind Tränen mit Schmerzen verbunden, ein gebrochener Knochen, eine schlimme Wunde- diese Dinge streben wir nicht an beim BDSM. Dennoch arbeiten wir beim Spanking auch mit Gewalt gegen den Körper. Diese ist zwar einvernehmlich, aber die Wirkung bleibt. Egal ob Flogger, Rohrstock oder Bullwhip – viele der Werkzeuge, die wir für Impact-Play nutzen, hinterlassen Schmerzen und auch Spuren. Es ist durchaus möglich, jemanden damit solche Schmerzen zu bereiten, dass die Person weint. Im Gespräch mit submissiven Menschen, habe ich aber mehrfach gehört, dass das Weinen hier eherdurch das befreiende Gefühl beim Schlagen entsteht. Das Aufführen der eigenen Grenzen, das Aufgeben und Zulassen unter “Zwang”.
AUFGEBEN ist das Wort, was mir hier eh erstaunlich oft begegnet, auch wenn es um das Spielen mit Erniedrigung und Scham geht. Weinen aus unangenehmen Gefühlen, die man zulässt, dabei ist es bei dieser Praktik unheimlich wichtig, dass es nicht darum geht, jemanden so sehr zur Verzweiflung zu bringen, dass die Person weint. Während einer Session ist Sub oft so nackt, emotional und ungefiltert wie es im Alltag nicht möglich ist. Daher ist auch die Empfindsamkeit so hoch, dass es leichter zum
Weinen kommt.
ANGST | Angst ist eine der intensivsten Emotionen, die wir empfinden kann.Beim Spiel mit der Angst spricht man auch von Fearplay (dt. Furchtspiel). Das klingt jetzt etwas absurd, immerhin geht es bei BDSM um Vertrauen und Einvernehmlichkeit, dennoch gibt es genügend Menschen, die Angst anmacht. Sie ist eines unserer stärksten Gefühle, sie ist psychisch und körperlich fühlbar. Dabei wird eine ganze Menge ausgelöst, maßgeblich Adrenalin. Ähnlich wie beim Fallschirmspringen wird hierbei also ein Cocktail aus Endorphinen und Adrenalin ausgeschüttet. Unsere eigene Sterblichkeit wird uns bewusst gemacht. Angst gibt jemanden Macht und macht uns machtlos. Es gibt viele Wege jemandem so Angst zu bereiten, dass die Person weint. Luft-Entzug, Druck, Messer oder eine bewusste Angst, der man sich aussetzt. Ist der Geist erstmal im Ausnahmezustand, dann kommen auch schnell die Tränen.
AFTERCARE | Die Seile sind gelöst, der letzte Schlag gesetzt, die Session ist vorbei. Nun beginnt die Aftercare, die Nachsorge für Körper und Geist. Nach dem Spiel brechen die Erfahrungen des Erlebten oft auf uns ein. Es wird gelacht, es wird Stolz über Spuren gestrichen und manchmal auch geweint. Vor Stolz und Erleichterung. Die Emotionen sind groß und müssen einen Platz finden, der hier gegeben ist.
Tränen sind Sexy
Weinen sollte nie das Ziel einer Session sein „… bis einer heult“ – ist ein witziger Spruch, aber keine Bedienungsanleitung. Emotionen brauchen Platz in der Sexualität, egal ob Vanilla oder BDSM. Wichtig ist es, darüber zu sprechen, damit sich beide Seiten sicher sein können, dass das Weinen im Einverständnis stattfindet. Es soll eine wunderschöne Erfahrung für alle Beteiligten sein. Persönlich liebe ich dieses Zeichen von Hingabe und Aufgeben sehr, aber ich würde es nie in einer Session forcieren.