NEID!

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KINKY ENVY.

Wir alle kennen ihn, er ist eine der unschönsten Emotionen, die sich auftut: Der Neid. Und natürlich gibt es ihn auch im kinky Leben. Höchste Zeit also über kinky Envy zu sprechen!

Das Latex ist immer glänzender auf der Haut des Nachbarn: Ich habe bereits mehreren Menschen die Tür zur Welt von Kink, Fetisch und Sexpositivismus aufgemacht. Vorher nur neugierig, mal davon gehört, hier ein Bild bei Instagram gesehen, dort von einer Freundin was erzählt bekommen haben. Diese Menschen haben allesamt eines gemeinsam: Sie waren frisch in der Szene. Nein, das stimmt nicht, sie haben zwei Dinge gemeinsam: Sie starteten voll durch und wurden innerhalb kürzester Zeit besser in die Szene integriert, als ich es in den letzten fünf Jahren geschafft hätte. Sie haben neue Freund:innen gefunden, Play Partner, werden auf Partys – öffentlich wie privat – eingeladen, landen plötzlich bei namenhaften Fotograf:innen im Portfolio… und freue ich mich für sie? Nein. Leider absolut nein. Ich werde grün vor Neid.

Jammerei? Aufmerksame Leser:innen dieses Magazins kennen meinen Standpunkt zur schwierigen Hierarchisierung, die in der kinky Szene üblich ist. Nirgends wird so schnell gelabelt und in Schubladen gesteckt wie in der Szene, in der eigentlich Diversität und Gleichberechtigung gelebte Grundsätze sein sollten. Doch dies ist nicht nur negativ zu lesen, sondern geht in beide Richtungen: In einer Welt des Scheins, wo wir versuchen, offen und posititv mit Oberflächlichkeiten wie Attraktivität und Sex Appeal umzugehen, entsteht auch irgendwann der Effekt eines Highscores. Wer ist am besten vernetzt? Wer hat die meisten Follower? Wer ist auf den angesagtesten Partys? Wer hat am meisten Sex? Wer die meisten Play Partner:innen? Wer wird auf die privaten Veranstaltungen eingeladen? Wer steht auf der Gästeliste? Wer zahlt den doppelten Preis?

In der letzten Ausgabe schrieb ich bereits über die Tatsache, dass männlich gelesene Personen es von Haus aus schwieriger haben, als weiblich gelesene, was mitunter mit der Fetischisierung des weiblichen Körpers zusammenhängt: Er ist der Werbekörper, das Symbol des Begehrens, die Verheißung von Lust und Sinnlichkeit.

Macht es Sinn, darauf neidisch zu sein, vor allem als männlich gelesene Person? Oder darauf neidisch zu sein, dass Dominas mit Kink Geld verdienen können, Doms aber bis auf Einzelausnahmen nicht? Oder weiblich gelesene Latex-Models von Labels und Veranstaltern hofiert werden? Und was ist überhaupt mit dem Umstand, dass viele Porno-Darsteller nicht bezahlt werden, sondern sogar dafür selbst zahlen, dass sie im Clip einer bekannten Darstellerin „mitspielen“ dürfen?

Kann ich darauf ernsthaft neidisch sein? Zunächst einmal: Ja. Ja, natürlich darf man neidisch sein und sich Neid eingestehen. Neid ist ein Kompass dafür, was man sich wünscht. Er zeigt Sehnsüchte auf und macht sie konkret, in dem er uns auf Menschen aufmerksam macht, die diese ausleben oder auszuleben scheinen. Nun könnten wir natürlich sagen, dass der Neid insofern auch der Anfang von Vorbild-suchen und Nacheifern ist – nur leider kommt dann seine etwas unschönere Seite um die Ecke und wir beginnen, missgünstig zu werden. Frustriert von der Tatsache, dass jemand anderes das hat, was wir uns wünschen, was für uns im Zweifel nicht erreichbar scheint, projiziert der Neid unsere negativen Gedanken und unseren Frust auf eben diese andere Person. Die Missgunst guckt um die Ecke und sagt: Was hat diese Person, was ich nicht habe?

Habe ich das nicht auch verdient? Alles wirklich keine feinen Züge und man beginnt auch, sich ein wenig dafür zu schämen, dass man so fühlt. So wenig Selbstvertrauen, dass man auf andere neidisch wird? Tröstlich ist, dass bei Neid auf fremde Personen die Sache ja auch irgendwie halb so schlimm scheint: Wer hat nicht schon mal einen Hollywood-Star beneidet oder ist mit sehnsuchtsvollem Blick an einer Villa vorbeigegangen? Die Sehnsucht überwiegt hier, Missgunst gegenüber einer fremden Person… na ja, die verpufft im Äther, sie hat letztlich keine Konsequenzen. Damit kann man also mehr als leben.

Ziemlich beste Freunde? Eklig wird es dann, wenn sich die Missgunst auf eine Person projiziert, die man kennt, die vielleicht sogar Teil des eigenen Freundeskreis ist. Hier wird es schon deutlich brisanter mit dem Neid umzugehen, denn diese Person hat die Missgunst in den seltensten Fällen verdient. Und wir wollen uns ja eigentlich auch für sie freuen. Tun wir dann aber nicht.

Kommen wir nochmals zurück auf die eingangs erwähnten Personen: Es ist ein seltsames Gefühl, sich ein paar Wochen, vielleicht Monate, nicht zu sehen und dann plötzlich bei der nächsten Veranstaltung festzustellen, dass die zurückhaltende und unbedarfte Bekanntschaft, die „mal so eine kinky Party besuchen wollte“, nun plötzlich umringt und umgarnt wird, von PPPs erzählt, von denen man noch nie gehört hat, mehrere Dutzend Freunde bei FetLife und JoyClub aufweisen kann und die ganzen Shooting-Anfragen gar nicht mehr disponiert bekommt. Natürlich fragt man sich nach den Gründen, wie zum Dildo das auf einmal geschehen ist, hat man es selbst im gleichen Zeitraum vielleicht auf ein Bondage-Treff und einen offenen Abend im örtlichen Club geschafft und die gleichen fünf Gesichter getroffen. Good for you, you do you, aber… wie? Was hat diese Person, was ich nicht habe?


Und die Antwort heißt in dem Fall nicht „Eierstöcke“, sondern das geht in alle geschlechtlichen Spektren: Als ich in die Szene reingekommen bin, ist auch eine andere männlich-gelesene Person mit mir am Start gewesen, für beide von uns war ein Stammtisch im Hamburger „basement“ unser erster Berührungspunkt. Ein Jahr später sahen wir uns wieder und ich war völlig perplex: Die Person, die schüchtern vor dem „basement“ gewartet hatte, ob noch jemand kommt, mit dem man hineingehen konnte, hatte nun eine Sklavin dabei, mehrere Partner-Personen, die sich an dem Abend die Klinke in die Hand gaben, einen prall gefüllten Instagram-Feed und war auf einem Plakat für die nächste Party zu sehen. Ich hatte es in der Zeit auf meinem Profil auf zwei Besucher:innen auf dem JoyClub-Profil geschafft, die nie geantwortet hatten. Wtf, wtf indeed.

Selbstvertrauen. Gut, manche Menschen kommen einfach schneller an. Auch das muss man akzeptieren, genauso, wie den eigenen Neid auf sie. Das Leben ist kein Wettrennen, das vergessen wir immer wieder, aber man muss sich auch der eigenen Gefühle bewusst sein. Und die härteste Probe kommt dann, wenn es um die engsten Freund:innen geht: Sei stark, wenn sie dir von ihrem kinky Urlaub erzählen, der nur via persönliche Einladung mitgeteilt wird (die du natürlich nicht erhalten hast). Lass dir nichts anmerken, wenn sie von ihrem Durchstarten auf dem letzten Sklav:innen-Markt berichten.

Freu dich für sie, wenn sie über ihre letzte Session erzählen. Auch, wenn du nichts davon erreichen kannst: Freu dich für sie. Denn deine Missgunst haben sie nicht verdient. Aber achte auch auf dich selbst: Meine Kollegin Kat hat im Artikel zur FOMO darüber geschrieben, dass sich die Angst, etwas zu verpassen oder verpasst zu haben, meist dann einstellt, wenn die schillernde Fetisch-Welt den Sprung in die Scheinwelt von Instagram macht.

Natürlich sieht man da nur, wie sehr viel toller das andere Leben ist, als das eigene.

Das gilt nicht nur im Kink-Bereich so, sondern ist ein allgemeiner Faktor bei Instagram. Was rät Tante Erna hier? Sich mal entgiften. Mal von all den Eindrücken frei machen, nicht in Doomscrolling verfallen und sich nicht damit konfrontieren, was wieder alles außerhalb der eigenen vier Wände passiert ist. Klar ist Konfrontationstherapie die eine Sache, aber ein Konzentrieren auf das eigene, das Schöne, was man hat, kann Wunder wirken.

Es ist eine Prüfung, auf Freund:innen nicht neidisch zu sein, sondern sich für sie zu freuen, gerade, wenn ihnen scheinbar etwas leicht fällt oder wie zugeflogen kommt, das man selbst seit Jahren vergeblich zu erreichen versucht. Daran gilt es nicht zu verzweifeln, sondern zu wachsen: Neid ist indirekt proportional zum Selbstwertgefühl, das Erleben der Anderen wird nie genauso wie das eigene Erleben sein.

Springt über euren Schatten und seid großzügig zu euren Freund:innen – gönnt ihnen den Erfolg. Sie würden es euch sicher auch gönnen.

AUTHOR: MR. ITHAQUA

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