Wir müssen draussen bleiben

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Kinkster (m, 35, Single) möchte auf eine Party. Doch dieses Profil ist mehr als unerwünscht. Häme in Internet-Foren oder direkt Abweisung an der Tür sind an der Tagesordnung. Woran liegt das? Eine Persönliche Bestandsaufnahme. „Was für eine schöne Party, gute Musik, tolle Spielmöglichkeiten, ordentlich Parkplatz! Immer wieder gerne. Nur schade, dass so Viele Single-Männer reingelassen wurden.“

Mir fielen fast die Augen aus der Gasmaske als ich diesen Kommentar eines Pärchen-Profils auf einer Party-Seite auf JoyClub.de gelesen hatte. Also, wer schreibt denn bitte sowas? Gut, wir wissen ja, dass der Ton im Netz nicht nur „dirty“ sondern oft einfach das Letzte ist, aber vielleicht ist das nur eine einfältige Ausnahme, dachte ich. Tja, Pustekuchen, das nächste Pärchen-Profil liked den Kommentar und ergänzt, dass es wirklich echt schade sei, dass man „auf der Party nicht in Ruhe spielen konnte“.

Ok, Timeout, was geht denn hier ab?

Menschen sind auf einer öffentlichen Party (also keine Private Play Party, sondern wirklich öffentlich) unter jeder Menge gleichgesinnter Kinksters und finden es: „Schade, dass da noch andere Menschen sind?“ Nun gut, ein bisschen verstehe ich sie ja. Ich glaube auch, ich weiß, was sie meinen. WEN sie meinen. Aber… so geht das jetzt wirklich nicht.

DRAUSSEN VOR DER TÜR | Ich war selbst schon öfter Doorbitch und/oder Aufpasser:in und ja, es sind immer Kandidaten dabei, bei denen ich schon beim Einlass das Gefühl bekomme, dass wir uns im Laufe des Abends wiedersehen werden. Und leider muss ich hier nicht gendern, denn es waren bisher ausnahmslos männlich gelesene Personen. Als Türsteher:in sieht man das manchmal schon am Blick: Der Solo-Herr schaut dir gar nicht in die Augen, sondern ist damit beschäftigt, die Menge „auszuchecken“. Manchmal ist er auch sehr zittrig, als würde er jeden Augenblick mit Köpper in die Menge tauchen. Ist es das, was man als „Predator“ bezeichnen würde? Ziemlich genau, ja. Da als Doorbitch abzuwägen ist nicht immer leicht, gerade, wenn eigentlich alle Einlassbedingungen (Dresscode, Ticket usw.) erfüllt sind – versagst du jemanden den Zutritt, weil sein Blick komisch ist? Wie reagiert man, eher im Zweifel für die Menschen, die ja nichts getan haben, oder misstrauisch bleiben und aufgrund von Äußerlichkeiten ablehnen? Letzteres ist natürlich in einer Szene, die sich Offenheit und „Everybody welcome“ auf die Fahnen schreibt, besonders prekär.

Auf den meisten Partys, bei denen ich bisher war, galt das Ampel-System: Betitelt jemand eine Person mit „Gelb“, behalten wir letztere im Auge, bei „Rot“ fliegt sie raus, ohne Diskussion. Das wurde bisher auch nie ausgenutzt. Mit der Zeit habe ich leider einen ganz guten Riecher für die Männer entwickelt, die nicht auf die Party gehen, sondern auf die Pirsch. Und die sich dann nicht benehmen können, aufdringlich werden, ihre Hände nicht bei sich behalten und im schlimmsten Fall übergriffig werden. Wie gesagt, die haben etwas in den Augen, etwas suchendes, einen Drang. Nun könnte man sagen, dass es Aufgabe der Veranstalter:innen sei, für das Gros der Menge Sorge zu tragen und insofern auch bei solch subjektiven Eindrücken wie „etwas in den Augen“ schon an der Türe abzuweisen. Wäre das valide? Das habe ich mich auch gefragt, ob ich wirklich Menschen so beurteilen möchte. Bis ich dann einmal selbst an der Türe abgewiesen wurde.

Warum ist der eigentlich allein unterwegs?

KLEIDER MACHEN LEUTE | Das Urteil der Doorbtich war: „Wir haben schon genug Single-Anzugträger!“ Ich war verwirrt: Immerhin war ich selbst Mitarbeiter der Party, den Anzug trug ich, weil ich den ganzen Tag mit Kund:innen der dazugehörigen Messe zu tun hatte. Die Doorbitch wusste offensichtlich nicht, wer ich war. Doch selbst mit Hinweis auf mein Team-Bändchen wurde ich abgewiesen und nach Hause geschickt – man wolle kein Ungleichgewicht.Das war schon ein ziemlicher Schlag ins Gesicht, und keiner von der kinky Sorte. Und dann wurde es langsam auffällig: Als Solo-Mann ist man wirklich die unterste Kategorie in der kinky Szene. Ich achte darauf, in der Szene immer freundlich, engagiert und zuvorkommend zu sein, aber… ich spürte ab Mitte 30 langsam die Skepsis meiner Mit-Kinksters mir gegenüber wachsen: Die Sätze “Den sieht man nie mit einer Spielpartnerin“ oder „Das muss ja wohl einen Grund haben, dass man den nie beim Spielen mit jemandem sieht“ stehen meinem Umfeld regelmäßig ins Gesicht geschrieben, wenn ich solo auf einer Party bin – oder auch nur als Teil einer Gruppe Freund:innen (die wiederum größtenteils aus Pärchen besteht). Die Blicke werden wirklich unangenehm mit der Zeit…

Auf einmal hatte ich das Gefühl, als „Creep“ betrachtet zu werden.

Natürlich ist es schön, als Solo-Mann von einer Gruppe mitgenommen zu werden, damit man nicht alleine unterwegs sein muss. Schade wiederum ist, dass diese Gruppen meist das Gefühl haben, etwas beschämt erwähnen zu müssen, dass das aber keine Einladung zu Spiel sei, sondern wirklich nur mitkommen. Das Solo-Mann-Dasein scheint schon eine „red flag“ an
sich zu sein.

Probier’s doch mal auf einem kinky Dating-Portaahahahal! Wo es einen Markt gibt, verdient einer dran. Und natürlich wird auch dieses Bedürfnis ausgenutzt: Dating-Portale wie Fetisch.de, Joyclub.de, whiplr und wie sie alle heißen funktionieren schon längst nicht mehr für einen Großteil der Kund:innen. Frauen berichten von einer wahren Schwemme an Nachrichten (wohl durchschnittlich 100 am Tag), Männer bekommen in der Regel keine Antworten. Aber da die Hoffnung zuletzt stirbt, greift man dann doch zum Abo und finanziert so den lustigen Nullsummen-Reigen. Gut, dass Dating-Portale… sagen wir „asymmetrisch“ sind, ist bei weitem nichts neues. Bei Kink-Dating-Portalen schlägt die Waage aber noch mehr aus. Ein kurzer Vergleich von völlig zufällig ausgewählten Profilen zeigt hier auch das sexuelle Ungleichgewicht: Während Frauen entweder nichts oder „Schreib mir nicht, wenn…“ auf ihrer Seite stehen haben, toben sich Männer in ausführlichsten Texten aus um sich von denen abzuheben, die schon beim Anblick des Profilbildes den Eindruck erzeugen, dass die erste Nachricht lauten wird „Hey hab heute Hotel kommste vorbei?“.

Es sind auch genau diese Männer, die es für den Rest kaputt machen:

Ich denke, wir alle wissen, dass nicht ALLE MÄNNER toxische Arschlöcher sind, aber wir wissen auch alle, dass diese Menge in unserer Szene durchaus vertreten ist. Vielleicht mussten wir sie schon mal nach einem ungefragten Kniff in einen Hintern zurechtweisen oder sie runterziehen, wenn sie sich auf einer Party völlig betrunken an die ans Andreaskreuz gefesselte Partnerin schmeißen (beides schon erlebt). Oder schlimmeres.

GUT, ABER… | Ja, liebe Pärchen – und insbesondere liebe weiblich-gelesene Personen – ich verstehe eure Sorgen total, sie sind ja leider auch begründet: Es sind fast immer die Solo-Männer, die sich daneben benehmen, die nicht nur zusehen, sondern gaffen, die sich in euer Spiel drängen wollen, die sich euch sabbernd beobachtend einen runterholen, während ihr Zweisamkeit genießen wollt. Diese Männer überschreiten auf ekelhafteste Weise Grenzen, das stimmt. Aber sie repräsentieren nicht alle Männer. Ich weiß, dass ihr das wisst, und ich weiß, dass ihr gerade im kinky Bereich trotzdem eher vorsichtig seien müsst und dann halt lieber im Zweifel einer zu viel als einer zu wenig verdächtigt wird. In der Redaktionssitzung meinte eine Kollegin, dass ich nicht vergessen dürfe, dass es für Frauen „wenn es schief geht, dann richtig schief geht“ und das ungleich schlimmer zu bewerten sei, als Männer, „die halt leider alleine sind“. Die Frage war, ob die Übel nicht gegeneinander abzuwägen seien und dann nunmal einige Solo-Männer das Nachsehen hätten. Wie ist es denn nun eigentlich, haben wir uns daraufhin gefragt, warum sind es augenscheinlich so viele Solo-Männer? Eine kurze Umfrage ergab schon mal, dass die Redakteurinnen teilweise gar nicht erst Solo auf eine Party gehen würden, da sie genau vor diesen „Jungs auf der Pirsch“ nicht den ganzen Abend als Frischfleisch betrachtet werden wollen. Dann stellte sich aber noch eine andere, etwas unangenehmere Frage:

Gibt es wirklich für jeden Topf einen Deckel?

Also, so rein von der Anzahl her? Eine kurze Google-Recherche ergibt innerhalb des Bruchteils einer Sekunde: Nein. Alle bisher durchgeführten Studien ergaben, dass es ein großes Ungleichgewicht in Bezug auf Geschlecht und Kink-Sein gibt: Eine 2008 durchgeführte Studie ergab, dass nur halb so viele Frauen wie Männer kink sind (gemessen an der Bevölkerung Australiens). Schlechte Aussichten für Solo-Männer, wir sind doppelt so viele. Dafür ergab eine Studie der amerikanischen NCSF 2015, dass von 4589 befragten Personen 8,9% ohne Einwilligung penetriert wurden – 12,5% Frauen, 10,6% Queer und 8,7% Transgender… und 3% Männer.

Tja, die Zahlen sprechen leider für sich.

I HAVE A DREAM | Dass das so nicht bleiben kann, ist hoffentlich allen klar. Daher mein Appell an euch, liebe Pärchen: Ich gönne es euch, dass ihr Partner:innen gefunden habt, mit denen ihr euren Kink er- und ausleben könnt! Wirklich, ich gönne es euch und wünsche das allen! Aber bitte, seid euch auch eurer privilegierten Stellung bewusst. Nicht jede:r hat dieses Glück, viele bleiben allein und das ist wirklich kein tolles Gefühl. Habt Verständnis für diejenigen, die nicht so viel Erfolg in der kinky Welt haben, wie ihr – und denkt zweimal drüber nach, bevor ihr sie im Netz über einen Kamm schert.

Es ist leider so, dass ein Großteil der kinky Lebens- und Spielarten nicht alleine ausführbar ist, sondern auf Kontakt und Vertrautheit mit einer anderen Person basiert. Darauf hat aber niemand ein „Recht“, man hat keinen Anspruch auf Nicht-alleine-sein. Wir Solo-Männer müssen das akzeptieren.

Nur, was wir nicht akzeptieren sollten, ist, von der ach-so-offenen Szene dafür auch noch ausgegrenzt und geschmäht zu werden. Ich wünsche mir eine kinky Szene, die genauso offen und willkommen-heißend ist, wie sie es selbst postuliert. Ich wünsche mir, nein, verlange von meinen Mit-Männern anständiges, umsichtiges und freundliches Verhalten und keinen Predatory Bockmist. Und ich wünsche mir von meinen anderen Mit-Kinksters Verständnis und Nachsicht, keine ausgrenzende Behandlung wie Kinksters zweiter Klasse.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, jetzt können Sie sich wieder Ihrer Zweisamkeit widmen.

Autor: Mr. Ithaqua

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