ZWISCHEN LICHT UND SCHATTEN
Wenn ich abends auf der Couch sitze, mache ich das, was ganz normale Menschen machen: ich öffne Social Media und scrolle durch die Bilder und Videos meiner Mitmenschen. Aber anstatt Urlaubsbildern und Kochrezepten, sehe ich Menschen in Seilen, neues Latex und Toys und Auszüge aus dem BDSM-Leben vieler Menschen.
ICH BIN KINKFLUENCERIN, diesen Begriff habe ich mir vor einigen Jahren selbst gegeben, als mein Content sich langsam von Café Latte zu Locktober veränderte. Und obwohl ich selber ein sehr aktives Leben zwischen Partys, Fetisch, Poly-Partner:innen und Shootings habe, bekomme ich sie: DIE KINKY FOMO.
FOMO STEHT FÜR FEAR OF MISSING OUT,
also die Angst, etwas zu verpassen. Denn irgendwie könnte man ja immer noch mehr und doller und größer sowieso. Dadurch, dass die BDSM Szene immer größer und weitläufiger wird, gibt es jedes Wochenende etwas neues: da gibt es Partys in Clubs, auf der Straße, in Zügen, auf Booten, Untertage, in Gärten und Schlössern. Da gibt es Spielzeug, das jeden Finger fixiert oder über 100 Kilometer gesteuert werden kann. Und so weiter und so weiter.
FOMO wird durch die sozialen Medien und ständige Online-Konnektivität haben es einfacher gemacht, das Leben und die Aktivitäten anderer Menschen zu verfolgen. Ein ständiger Strom von Aktualisierungen, Bildern und Veranstaltungen auf Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter führt dazu, dass ich dauernd befürchte, ich könnte etwas verpassen. Unterbewusst messe ich mich natürlich auch mit den Menschen auf meinem Bildschirm.
DIE IRONIE AN DER SACHE IST… ICH BIN FÜR GANZ VIELE MENSCHEN DIE WANDELNDE FOMO.
Mal schamlos zugegeben: Ich bin sehr gut im kinky Leben. Einmal die Woche kommt mein Putzsklave vorbei, ich richte mein Spielzimmer ein, meine Wohnung steht voll von Schuhen, Latex und Tentakeldildos die ich geschenkt oder zugeschickt bekommen habe und ich verdiene mein Geld seit einigen Jahren damit, ungeschönt über BDSM zu reden.
Dass ich zusätzlich eine junge Femdom bin, ist eigentlich nur die glänzende rote Kirsche auf dem Eisbecher. Statistisch betrachtet kann ich mir meine Partnerperson aussuchen, alles von dieser verlangen und zum Schluss ist meine Wohnung sauberer als vorher. Jeder Club gewährt mir Einlass, wenn er mich nicht sogar auf die Gästeliste setzt.
IN EINER FORMSCHÖNEN WELT GEHE ICH ALSO NOCH SELBSTBEWUSSTER DURCHS LEBEN.
Tatsache ist aber, dass ich mich ja selber wie ein ganz normaler Mensch und kinky Person wahrnehme. Ich finde es vor allem eigenartig, dass Leute mich wiedererkennen oder ein Foto mit mir wollen. Ich habe genauso Angst, was zu verpassen, ich kämpfe mit mir, ein Wochenende zu Hause zu bleiben oder auf etwas zu verzichten. Allerdings ist meine FOMO eben an mich selbst gekoppelt, ich könnte überall hin und alles machen, oft genug ist der begrenzende Faktor meine eigen Kraft, Zeit, Menschen und Geld. Ich kenne mein Privileg und bin dankbar für alle Chancen die ich bekomme … Eigenartiger Weise beschert mir diese Diskrepanz zwischen Außenwahrnehmung und meines Alltags oft genug dazu, dass ich noch schlimmere FOMO erlebe. Denn Menschen erwarten von mir Partys, Shootings, Sessions und Konsum. Das erhöht den Druck meiner eigenen Perfektion.
Kann man da was gegen tun? Ich habe festgestellt, dass ich meine FOMO am besten in den Griff bekommen, wenn ich selbst reflektiere warum das gerade FOMO in mir auslöst und was ich dabei fühle, ich meine eigenen Prioritäten klar festlege und ich das Handy weg lege. Stattdessen beschäftige ich mich mit dem Kink, den ich in meinem Leben habe, die Dinge, die ich lange nicht mehr hervorgeholt habe oder kommuniziere mit meinem Liebsten. Warum brauche ich ein neues Latexteil, wenn ich das letzte kaum ausgeführt habe und was wäre eine tolle Gelegenheit, es in Szene zu setzen?