Risikobewusstsein und Konsens sind gerade in der BDSM-Praxis in aller Munde. Offene Kommunikation über mögliche Folgen im Vorhinein gehört dazu. – Ein Erfahrungsbericht.
Aber wie gehen wir damit um, wenn bei aller Vorsicht doch mal etwas schief geht? Dann spielen Fehlerbewusstsein, Entschuldigungs- und Heilungsprozesse die Hauptrolle. Das wurde mir bewusst, als ich selbst einen Unfall als Riggerin beim Shibari verursacht habe, also als aktiv Fesselnde beim Bondage mit Seilen. In einer öffentlichen Bondage-Show fiel mein Model kurz vor Ende aus meinen Seilen. Sie hing mit dem Kopf knapp über dem Boden, ihre Hüfte etwa auf 80 cm Höhe. Während ich am Bein fesselte, löste sich das Hüftgeschirr und sie stürzte. Nach kurzem Schockmoment richtete sie sich auf. Ihre Arme waren frei und sie konnte sich selbst abdrücken. Sie signalisierte mir, dass sie ok war und wir brachten die letzten Sekunden der Performance hinter uns. Der Moment war für sie, mich und einige Zuschauer*innen schockierend. Es war mein
Fehler.
Stress & Müdigkeit
Der Sturz selbst wurde durch einen technischen Fehler verursacht. Dass mir dieser passiert ist, ist die Ursache mehrerer aufeinanderfolgende Faktoren. Die meisten Fehler, die erfahrenen Rigger:innen passieren, werden nicht aus Unwissenheit verursacht. Oft sind es Stress, Routine, Ungenauigkeit, Müdigkeit, Geilheit, Umwelteinflüsse und vieles mehr. Zudem war es recht dunkel auf der Bühne, weshalb ich das Aufgehen der Hüftfesselung nicht direkt bemerkte. Außerdem entschied ich in letzter Sekunde vor der Show, Details am Hüftgeschirr zu verändern, um die Bewegungsfreiheit des Models zu erhöhen. Ich merkte, dass dadurch die Sicherung nicht mehr so stabil war. Mangels Zeit, es nochmal neu zu fassen, schätzte ich es für okay ein, ohne noch einmal den Konsens meiner Partnerin einzuholen. Ihr war also nicht bewusst, dass mehr Bewegungsfreiheit hier mit mehr Risiko verbunden war, und sie hätte dem wahrscheinlich nicht zugestimmt.
Unfall – und jetzt?
In diesem Fall sind mehrere Instanzen von dem Unfall betroffen. Die höchste Priorität hat natürlich das Model. Zwar trug sie hier keine körperlichen Schäden davon, jedoch bringt ein solches Ereignis auch Emotionen mit sich. Zum Schreck kommt die Konsensverletzung hinzu. Es ist nun meine Aufgabe, das Vertrauen wiederherzustellen – proaktiv.
Kurz nach dem Unfall nahmen wir uns im Backstage Zeit, uns aufzufangen und die Sache durchzusprechen. Dankenswerterweise war mein Model dazu bereit, das Vertrauen zu mir wieder aufzubauen. Sie konnte mir sagen, was in ihr vorgeht, was sie braucht und sie sich wünscht. Da sich unsere Wege bereits am nächsten Tag trennten, mussten wir eine Möglichkeit finden, den Heilungsprozess auch auf die Entfernung miteinander durchzumachen. Wir telefonierten viel und verabredeten ein weiteres Treffen. Zudem vereinbarten wir drei Schritte der Regeneration angepasst an ihre emotionalen Bedürfnisse. Beim ersten Treffen ging es vor allem um Nähe. Sie wünschte sich von mir einen Energieausgleich in Form von Nähe, Kümmern und Wohlfühlmomenten. Sie möchte Geborgenheit spüren.
Im nächsten Schritt planen wir, wieder miteinander zu fesseln. Ich möchte ihr zeigen, dass wir positive Momente in den Seilen verleben können nur wir zwei, ohne Publikum. Es geht dabei um sie. Und anschließend haben wir hoffentlich die Möglichkeit zu entscheiden, ob wir uns wohl damit fühlen, vielleicht noch einmal gemeinsam auf die Bühne zu gehen. Denn den Moment, dass das Publikum von ihrem Können begeistert ist, das tolle Gefühl nach einer geschafften Performance – das bin ich ihr schuldig. Es liegt dabei in ihren Händen, wie lange sie braucht um das Erlebnis zu verarbeiten und wann sie mir als Riggerin wieder vertraut. Bei dem Unfall waren nicht nur das Model betroffen, sondern auch die Zuschauer*innen. Auf der Party selbst haben mein Model und ich aktiv mit den Gästen gesprochen. Weiterhin bin ich aktiv auf die Organisator*innen der Party zugegangen. Dankenswerter Weise stieß ich hier auf viel Verständnis.
Offene Kommunikation & Feedback
Die letzte betroffene Instanz bin ich. Das Ausmaß wurde mir erst richtig bewusst, als es zu spät war. Die Konsequenzen muss ich tragen. Besonders kurz nach dem Unfall überkamen mich Schuldgefühle, Zweifel und Reue. Vor allem aber habe ich das Bedürfnis der Wiedergutmachung. Das bedeutet, mich weiterhin mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Die wichtigsten Lektionen sind:
- immer wieder bewusst mögliche Folgen im Blick zu haben
- Innezuhalten und sich Zeit zu nehmen während einer Session
- Offene Kommunikation und Feedback
- Stressoren zu beachten, innerlich wie äußerlich
Die Gespräche mit anderen Riggerinnen und Fesselpartnerinnen haben mir sehr geholfen. Seit dem Vorfall habe ich nun schon einige Male wieder das Seil in der Hand gehabt und schöne Erlebnisse teilen können. Doch bleibt die Nacht immer im Hinterkopf.