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ERLEBNISSE MIT VINCE VOLTAGE

Soll ich Euch die Farben erklären? Die seltsamen Hüte diskutieren? Über eine Performance mit Wiener Würstchen in Wien berichten? Von den ganz privaten Momenten seiner Shootings erzählen? Das alles wären vielleicht legitime Ansätze, die man normal für das Portrait einer Fotografie-Ikone wählen würde: „Voltage ganz privat! Wir haben den Künstler getroffen – wie steht er zu Mamas Käsespätzle?!“

Und obwohl ich glaube, dass ihn der Untertitel amüsieren würde, wird eigentlich nichts davon dem gerecht, was ich ganz persönlich von meinen Begegnungen mit Vince Voltage erzählen wollen würde, wie ich ihn erlebt habe. Daher ein anderer Ansatz. Vielleicht werden wir ja am Ende schlauer sein.


Es war auf der Avantgardista 2022. Da war es das erste Mal, dass ich dem Mann in Cowboy-Hut, verspiegelter Sonnenbrille und langen Haaren begegnet bin. Tatsächlich war ich erst etwas abgeschreckt: Er ist schon eine Erscheinung, hat etwas brachiales, das Outfit ist krass. Leise stand er dort bei einer Reihe von surreal-anmutenden Bildern, die mitten im Raum hingen: Große Gesichter, seltsame Kopfbedeckungen, knallige Farben. Und daneben der Mann mit Cowboy-Hut und Sonnenbrille. Was verbirgt sich hinter den Gläsern, dem Bart, den langen Rocker-Haaren? Steigt er nachher auf sein Motorrad und lässt sich von den Cops über den Highway jagen, lässig einen Zahnstocher kauend? Doch so lange hatte ich gar nicht Gelegenheit über das Enigma Vince Voltage nachzudenken, denn dann erforderte ein Skandal meine Aufmerksamkeit: Ein Bild war beschädigt worden! Mitten in die Avantgardista war ein Unbekannter in grünem Spandex-Anzug eingedrungen und hatte eine Dose Tomatensuppe gegen eines von Voltages Bildern gefeuert. Wie konnte das passieren? Christian Eberle, Mastermind der Avantgardista, völlig außer sich, der Mann im Hut ratlos. Ich selbst war sprachlos.

Frühjahr 2024, eine Seitenstraße in Berlin Kreuzberg. Ich wandere mit einer anderen Persona von Vince – dieses Mal „The Voice of Hope“ – durch die Häuserschlucht, hinter uns der dröhnende Sound einer Vernissage, die wir soeben verlassen hatten, auf der seine neueste Ausstellung gezeigt wird. Unser Ziel ist der Späti an der Kreuzung, um uns was zu trinken zu holen. In weißes Leinen und Sandalen gekleidet plaudert „The Voice of Hope“ mit ruhiger, freundlicher Stimme und unversteckt-schwäbischem Einschlag über die Arbeit, die er in das Herzensprojekt „The Church of Kink“ zusammen mit Fetisch-Ikone Lola Noir gesteckt hat. Und über den wunderbaren Moment, wenn sich Kunst verselbstständigt. „Wie damals bei Captain Klima, erinnerst du dich?“, fragt er mich. Da trifft es mich: Die Dose, der grüne Spandex-Anzug, die erschütterten Gäste… alles Trick. „Smoke and mirrors“, wie man in England treffend sagen würde. Diese beiden Erlebnisse fassen mein Bild von Vince Voltage perfekt zusammen: Dieser Künstler spielt gerne. Mit Material, mit Farben, mit Erwartungen. Er sucht die Brüche im Eindeutigen, „zwischen bitter und süß“, wie er es selbst beschreibt. Ein imposanter Leder-Rocker, ein lächelnder Fetisch-Guru, all das ist Voltage, ohne dabei je seine entspannte Herzlichkeit zu verlieren – wenn man sich traut, sich in seine Welt hineinzubegeben.

Wir knabbern zusammen Hostien, er gibt „Heilsteine“ an die Besucher der „Church of Kink“, er steht in seinem Guru-Outfit mitten unter lauter Latex-Gestalten.

Viele Sprachnachrichten schickten wir uns hin und her, ich führte ein Interview, dessen Fragen mir mittlerweile fast peinlich sind („Was hat dich zu diesen Farben in Kombination mit den Portraits inspiriert?“), wir diskutieren über Buchdruck, über künstliche Intelligenz, über Fetish-Model Eri Kitami mit einem Traktor auf dem Kopf. Er berichtet über seine Reisen nach Tokyo und L.A., wo er für eine Doku unterwegs war, aber auch über die Harry-Potter-Party, die er für seinen Sohn gestaltet hat. Die Brüche eben, das Uneindeutige. Kein Fetisch im Goth-Look – sondern Kink mit Pommes rot-weiß. Ich habe lange überlegt, wie ich Voltage beschreiben würde, hätte ich nur ein Wort (na gut, machen wir zwei draus) zur Verfügung. Ein Gaukler? Ein weiser Narr? Nein, hier ist es: Ein Trickster, ein Schelm.

Aber genauso, wie man es sich wünscht, dieser Künstler ist der eine Kumpel vom Schulhof, der die irrsten Ideen hatte, die sich niemand vorstellen konnte, die dann aber immer geil wurden. Der Kommilitone, der Motto-Partys gemacht hat. Der Vater, der sich aufopfert. Der Rocker, der mit Latex-Wesen eine Tour durch Tokyo macht. Vieles, vieles mehr hat Voltage noch gebastelt, gezaubert und gestaltet, seine Homepage gibt Einblicke in die Vielfalt zwischen Performance-Kunst, Fotografie, Musik, Mode…


Aber mein ehrlichster Eindruck kann einfach nur der sein, den ich erlebt habe – denn erleben sollte man ihn. Vince Voltage mag sich zwar in das Enigma der Kunstfigur hüllen (seinen „echten“ Namen verrät er nicht) – doch sieht man hinter die Sonnenbrille, erlebt man die Fetisch-Kunst noch einmal ganz neu.

AUTHOR: Mr. ithaqua
FOTOS: VINCE VOLTAGE / MODELS: DAGADANZIG / ERI_Kitami / CHERIEPOOO / MVHPTM / DUPRI_WOLF / IVANAHYDE_ / CHRISSIE.SEAMS

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