Kinky Stand-Up Comedy in der Hauptstadt
Berlin und Kabarett, das gehört zusammen – doch schon mal ein kinky Kabarett besucht? „Time to Shine“, das frische, junge Format von Szene-Größen L’aDios und Terry Saunders bietet einen unvergleichbaren, wilden, heißen und – nicht zuletzt! – extrem witzigen Ritt durch die humorvolle Seite der kinky Welt! Wir nehmen euch mit.
Abends im Berliner Stadtteil Friedrichshain: Meine Kollegin OscaDoria und ich sind verabredet, um uns ein Format anzusehen, das in meinen Instagram-Feed rutschte: „Time to Shine“ – ein kinky Comedy-Programm. Dafür reiste ich extra nach Berlin an – waren die Witze die Reise wert?
Die Neue Bühne Friedrichshain ist ein Kellertheater, der Abstieg in die Räumlichkeiten hat etwas aufregendes an sich, da wir nicht wissen, was uns dort erwartet – natürlich sind Fotos, Reels und lange Videos des Formates im Netz zu finden, aber, hey, wo bliebe denn da der Spaß? Ist es im Kink nicht immer auch das Unbekannte, das so reizvoll ist? Nicht zu wissen, was dich in dem SM-Club erwartet? Hinter der Tür des Dominastudios? Hinter der Maske deines Gegenübers? Wir beide sahen das jedenfalls so, daher kamen wir völlig vanilla in diesen Abend und warteten zusammen mit vielen anderen kinky Menschen vor den Türen des Theatersaals.
Als sich diese öffneten, begann ein Abend, der ein wahres Kleinod in der kinky Event-Szene darstellt, denn so etwas haben wir so noch nicht gesehen: Begonnen wird mit einer Schulzimmer-Szene auf der Bühne, die Comedians geben hier ihr Stelldichein: Angeführt von Lehrer:in Blade setzt die Szene den Ton für den Abend. Es wird fantasievoll, bunt, lustig und naughty.
Das Publikum sitzt dabei völlig durchmischt: Statt einem Dresscode gibt es einen Dress-Vorschlag – wer kinky kommen möchte, ist ebenso willkommen, wie alle, die in ihren Alltags- oder Theaterklamotten da sind. So sitzen Latex-Menschen neben Gothic-Damen, Lederoutfits neben Strickpullis – und es passt alles zusammen, denn was diese Menschen vereint, ist die Freude und Liebe für die Szene.
Die kreativen Kinksters hinter dem Format – L’aDios und Terry Saunders – moderieren gekonnt durch die Acts: Assistiert von einem gesichtslosen Gimp eröffnen sie die Bühne für Menschen aus der Kinky- und Sexworker:innen-Szene Berlins. Den Anfang macht direkt Blade mit einem Bühnendebüt, das sich sehen lassen kann: Blade entführt verspielt-hintersinnig in ein Spiel mit Identität – wer ist Blade? Und wer weiß wer Blade ist? Und wie war das eigentlich früher? „Switchen mal anders“, könnte man sagen. Wir freuen uns, dass dieses Debüt nur der Anfang ist!
Jamie aka Transboy_Dom hat eine skurrile und eigensinnige Kreation im Gepäck: Zusammen mit einer:m Schweinchen-sub zeigt er uns eine musikalische, wortlose Session-Performance, die zwischen heißer Erotik, kinky-bösem Spiel und liebevollem Humor changiert – „versaut“ und „saukomisch“ möchte man sagen!
Akash zeigt uns mystische Ketten-Kunst in luftiger Höhe, bevor L’aDios und Terry ebenfalls die Bühne betreten – diesmal im Dämonen-Outfit, denn das Publikum war eingeladen, durch kleine schmutzige Geständnisse auf Zetteln – anonym natürlich – am Abend teilzunehmen. OscaDoria und ich hätten nie gedacht, wieviele kinky Verwendungen es für Karotten gibt!
L’aDios begeistert in ihrem Act durch scharfsinnige Beobachtungen über den internationalen gesellschaftlichen Umgang mit Gender, verpackt in verspielt-bösen und hintersinnigen Humor, perfekt unterstrichen von ihrer kraftvollen Bühnenpräsenz. Terry Saunders erzählt davon, dass er die „Rocky Horror Show“ schon immer gehasst habe – bevor er sich unversehens als Hauptdarsteller in ihr wiederfindet – urkomisch und traumhaft-melancholisch zugleich. Eine Tombola beschließt den Abend, bevor es wieder in das nächtliche Friedrichshain geht – was für ein Abend! Wir müssen die Macher:innen kennenlernen, also verabreden wir uns direkt zum Gespräch.
Als wir uns wieder treffen, sind L’aDios und Terry sichtbar erleichtert, drei volle Shows hinter sich zu haben – und schon aufgeregt, die nächste Staffel, die Ende Mai Premiere haben wird, vorzubereiten. Auch wenn die Verknüpfung von Comedy und Kink nicht gerade naheliegend klingt, erzählen die beiden mit Leichtigkeit, wie organisch sich dieses Format für sie ergeben hat: Beide haben sie Stand-Up-Hintergrund und beide sind sie Fetischist:innen – wieso also nicht kombinieren?
L’aDios bringt einen Domina-Hintergrund aus der New Yorker Szene mit sich, Terry erlebte, was viele von uns erleben, da vor er seinem kinky coming out auch Jahre lang mit Scham über die eigene Identität lebte. Doch damit war er auch gewissermaßen der „Katalysator“, dieses Projekt durchzuziehen, wie die beiden berichteten.
Denn wie sie feststellten, sprachen die Performances in der kinky Szene sie nie so richtig an: Bei allem Respekt vor allen Künstler:innen, die die Szene bereichern, fehlte ihnen doch dieses gewisse Augenzwinkern und Sichtbarkeit in der breiteren Gesellschaft. Das Format wird als kollektiver Prozess geführt, der Ensemble-Gedanken steht – wie man bereits in der Anfangsszene sah – im Mittelpunkt. Mittlerweile erhalten die beiden auch zahlreiche Bewerbungen für neue Acts, so dass sie kaum noch hinterherkommen.
Also ja, die Fahrt hat sich absolut gelohnt und ich bin schon sehr gespannt auf Staffel IX dieses Formates, das parallel zum German Fetish Ball Ende Mai stattfinden wird. So etwas verdient Support und kann allen Kinksters, die der englischen Sprache mächtig sind, ans Herz gelegt werden: Denn schlüpfrige Witze erzählen kann jede:r. Wertschätzende kinky Comedy performen hingegen nicht.